27.04.09

episode 11/ illustration: steffi schuetze


mit einbruch der dunkelheit hatte sybille die afterhour endlich gefunden. beiläufiges kommen und gehen wies ihr den weg in den richtigen hauseingang über den hof ins quergebäude des verwaisten hauses zu einer tür im dritten stock. schnell schlüpfte sie hinein und stolperte, vorübergehend nachtblind, ohne orientierung umher. erst als raiko sie entdeckte und in beschlag nahm, war sie soweit anwesend, das sie gesichter ausmachen konnte. soso, da hinten sass sören mit anette! raikos nachtleben kumpel jo drängte ihr ein gespräch auf:

„...weiss ja nicht wie lange du schon in der stadt bist! mein erster sommer, waren wir vielleicht runtergefeiert! immer tresor, pflichttermin! freitags startschuss bei sebastian und los in die technoferien...panorama bar, im ostgut damals, in der mühlenstrasse, und dann ging das durch bis montag, endlich ins SO-36, electric ballroom bis dienstag mittag...danach in der schönhauser chillen bei bine in der wg, voll verstrahlt vom balkon aus weintrauben und teebeutel in die cabrios an der ampel geworfen, so rund waren wir! weiss ja nicht wie lange du schon in der stadt bist...“

uff! ab und zu warf sybille den kopf in den nacken als müsste sie lachen, zwinkerte jo zu und tat darüber hinaus amüsiert und charmant, während sie lasziv an ihrem bier nippte. sie ignorierte sören geflissentlich, kontrollierte nur aus dem augenwinkel seine anwesenheit. als er sich in bewegung setzte, trat sie schnell beiseite ins halbdunkel, liess jo stehen und folgte sören behende und mit einigem abstand. im hof hörte sie schritte aus dem seitenflügel. vorsichtig schob sie die tür auf und tastete sich am geländer entlang aufwärts. über ihr schlug eine tür. hab ich dich! ganz oben waren zwei eingänge vernagelt, gab also nur eine möglichkeit. sie drückte die klinke hinunter
… und – o weh – man verzichtete gänzlich auf lästiges Vorgeplänkel und tat erst gar nicht so, als sei Romantik eine galante Begleitung mit guten Manieren, nein – nein!? – jetzt mach schon! – ja, kaum eine Klamotte wurde mehr als gerade mal weit genug verrückt – es wurde positioniert und lose an die Wand gestützt in Fahrt gebracht und in Fahrt gekommen aufgesprungen und unerbittlich abgehoben – man überging und verfing sich und klatschte und schmatzte eine vibrierende Hymne auf die profane Raserei, ja, man hatte sich und hatte alles und man hatte keine Augen für die immer noch in der Tür Verharrende – die da stand und nicht wusste – die da stand und nicht – die da stand – mit der Klinke in der Hand – verharrt – verscharrt – kann ein Herz bluten? – kann es verbrennen? – nein, mein Kind – aber es kann so tun, als ob! …
und sie, eben noch verfolgerin, stürzte treppab, fiel und fiel und riss sich ein loch in die hose, während oben sören mit ... jede marode stufe keuchte: anette, anette ... ausgerechnet anette! die hatte sich vorgeschlichen, seiner ankunft geharrt. und sybille fiel weiter, taumelte abwärts. statisten und randfiguren ertrinken immer zuerst.

episode 10

eine schier unendliche zeitspanne verharrte sybille ohne jede regung. erst als ein verspannungsschmerz über schultern und nacken in kopf und rücken strahlte erreichte sie einen zustand relativer wachheit. von weitem hörte sie die klingeltonmelodie ihre telefons wieder und wieder herumdudeln. hatten jules und sie damals gemeinsam für ihre handys ausgesucht. polyphon verstümmelte fragmente irgendeines gemeinsamen lieblingsliedes. sie wusste längst nicht mehr wie es hiess und was ihr daran gefiel und jules hatte das anrufsignal inzwischen zig mal gewechselt. wie sollte sie bloss einen schritt in den tag hinein machen, wohin den fuss setzen? alles drehte sich um sich selbst und umeinander. ihr war speiübel, wie auf dem kettenkarrussel in das onkel werner sie auf einem rummelplatzausflug unverlangt gesetzt hatte. „da steht: ab sechs jahren und das bist du ja nun“ hatte er gesagt. schon wurde sie im kreis herumgeschleudert, starr vor furcht, die ketten könnten reissen und sie würde ins schwerelose nichts hinausgeworfen werden. anfangen, irgendwomit musste sie anfangen. wenn sie anfangen wollte, musste sie eine liste machen. listen hatten ihr immer geholfen. allein das sortieren von vorhaben gab den befehl loszulegen. ausser 1. zur hölle mit sören und 2. neues leben anfangen, wollte ihr jedoch gerade kein zündender gedanke kommen. genau genommen hatte sie niemals ein eigenes leben gehabt. diese herumvagabundierende feierei der letzten wochen mit all den ungesunden zutaten, den kopf voll mit sören. schales vergnügen unterm strich. selbst ihre möbel waren nicht ihre, die hatten mum und dad ausgesucht. dieses blöde, avantgardistisch eckige teeservice, war das ihres? wurde mal zeit sich selbst in augenschein zu nehmen! vorsichtig trat sie vor den spiegel. grau sah sie aus, nur die augenringe verliehen ihrem gesicht konturen, sonst war alles schlaff. stumpf. und kneipenhaare hatte sie, voller rauch und schweiss. aber inzwischen lang genug, um sie hinten lässig zu einem pferdeschwanz zu binden. mit flinken fingern griff sie sich ein haargummi. sah gar nicht so übel aus. schlampig cool auf ne art. noch ein trägerunterhemd mit ausgewaschenem kleinmädchen muster, jeans und stiefel, yepp! sie begutachtete sich von allen seiten. das fühlte sich nicht mehr nach den ganzen tag mit verheulten augen coldplay hören an, das war queen bitch. jules hatte gestern was von einer spätnachmittag after-afterhour party gequatscht. sören würde stielaugen machen wenn sie da so aufliefe. gute gelegenheit sich irgendwie zu rächen! sonnenbrille aufsetzen und die treppe hinunter waren eins. einmal zuckte sie noch kurz zusammen als die tür hinter ihr ins schloss fiel. draussen war frühling, die ganze strasse voller flaneure, sie würde sichtbar werden. da war sie bereits mittendrin. „na, dann seht mich doch an“ hämmerten ihre schuhe auf das pflaster.

episode 9

sybille dehnte den entscheidenden moment so lange es eben ging und schloss träumerisch die augen. „sören, brüderschaft trinken“ hatte sie gerufen, flugs zwei wodka bestellt, ihre lippen berührten sich zum bruderkuss, sie spielte kurz mit seiner oberlippe. „lecker, schmeckt nach wodka, könnt ich noch einen von vertragen,“ kicherte sie nervös, um anschliessend noch zwei zu ordern. dabei beschlich sie das gefühl, jules schielte heimlich herüber, mit einem leicht überlegenen grinsen im gesicht. überhaupt schien es ihr, als sässe sie vollkommen ausgeleuchtet auf einer bühne und die wenigen leute im zuschauerraum raunten sich abfällige bemerkungen zu. hoffentlich sass sie gerade und hoffentlich merkte niemand, dass sie zu schwitzen begann. unruhig rutschte sie in ihrem sessel herum. erst mal was frühstücken und auf andere gedanken kommen. zur zeit gerann alles in diesem von grellen scheinwerfern angestrahlten standbild. dafür würde sie sicher keinen applaus bekommen. kein wunder, hatte sie doch zusätzlich auch noch ihren text vergessen. das telefon klingelte und sybille pries innerlich die rufnummernanzeige. mum oder dad hätte sie jetzt kaum ertragen, da machte sie sich lieber auf den weg in die küche auf der suche nach etwas essbaren. immer wieder brach das knäckebrot bei dem versuch sich ein paar happen zurecht zumachen auseinander und krümelte den ganzen küchentisch voll. verflucht noch eins, maulte sybille vor sich hin, die lätta ist doch eine streichfeine margarine. knacks! schon wieder! während sie die sprossen auf die bruchstücke streute, begann sich die bühne mit leben zu füllen. hast du nicht gesehen stand raiko neben ihr: der scharwenzelte bereits seit geraumer zeit um sie herum, seine aufdringliche art fand sie irgendwie total abtörnend. „hi sybille,“ begrüsste er sie aufgeregt, „schon den ganzen abend hier oder gerade erst gekommen? wir haben das beim letzten mal ja gar nicht zu ende besprochen mit dem kaffee trinken, du hast auch vergessen, mir deine nummer zu geben.“ wie peinlich. raiko war eigentlich ganz nett, aber wie konnte er denken, sie interessiere sich für ihn? bloss weil er einen buchladen besass, war er noch lange kein spannender typ. null aura, eher weniger als null sogar. gott sei dank drängelten seine jungs und er musste weiter. „gott sören, der kötert mir vielleicht hinterher. einmal freundlich und schon haste solche leute am hacken.“ – „ja, so kanns einem gehen. reich mir doch bitte das wasser da drüben, das hab ich nämlich schon vor ner halben stunde bestellt und würds auch gern trinken, aber du drückst mich hier immer weiter in die ecke,“ hatte er ruhig geantwortet, war aufgestanden, um sie herum gegangen und stellte sich, leicht abgewandt, zu jules. vernahm sie da etwa ein lachen aus dem parkett? bloss ohne stolpern runter von der bühne.

episode 8

du meine güte, tut das vielleicht gut!!! sybille schlürfte genussvoll den warmen tee in sich hinein, eine behagliche wärme breitete sich aus. um diese zu halten, zog sie die wolldecke zu sich rüber und wickelte sich gemütlich darin ein. nur ihre hände blieben weiterhin eiskalt. wird schon werden, weil muss ja, dachte sie und begab sich zurück in die szenerie der vergangenen nacht. diesmal hatte sie sich aber wirklich mal was getraut und war direkt in die zielgerade eingebogen. bereits vor wochen hatte sie begonnen, sören mit küsschen zu begrüssen. erst wange an wange und kuss in die luft, aber links und rechts, denn auf einem bein kann man nicht stehen. dann hatte sie das erste mal mit den lippen seine wange berührt, ganz selbstverständlich, dem zugzwang konnte er sich natürlich nicht entziehen. gestern hatte sie ihm endlich keck einen kuss auf den mund gegeben. mmh, fühlte sich supertoll an. blitzschnell war sie danach in jules küche verschwunden, um den wodka zu holen. der war auch nötig. nach zwei schnäpsen war ihre unbefangenheit wieder hergestellt. von da an hatte sie darauf geachtet, immer zwischen jules und sören zu sitzen und jules hatte ihr mit einem augenzwinkern signalisiert, das sie das vorhaben kapiert hatte. nur wie weiter? ihr war jetzt schon wieder ganz flau im magen. vielleicht ein lecker knäckebrot mit lätta und schön sprossen drauf? das hatte sie für ein schnelles frühstück eigentlich immer im haus. na ja, später vielleicht. ihre finger fühlten sich immer noch klamm an. war ja auch ein hartes programm gewesen. white trash natürlich, 103, irgendwas dazwischen, von da aus zum absturz in die panorama bar. im verlauf der nacht hatte sie ihre kreise immer enger gezogen. jules schwirrte die meiste zeit umher, tanzen oder flirten, und sybille hatte die gunst der stunde genutzt und war mit sören alleine was ziehen gegangen. nur lief das nicht so einfach ab mit der nähe, wo jules fehlte und sie nicht mehr an sören herandrückte. beim verlassen der toilette dann hatte sie es im türrahmen geschafft mit einer unwillkürlichen drosselung des tempos in seinen armen zu landen und dabei so zu gucken als wäre nichts. o.k., eigentlich war er bloss in sie hineingelaufen, trotzdem ging es ihr durch und durch. puh, mittlerweile wurde ihr richtig warm. sie lockerte die decke und kühlte mit ihren frierenden händen die glühende stirn. was für ein elend. kein vergleich zu dem hochgefühl, als sie eng neben sören sass und ihn, beflügelt von zahlreichen wodka-cranberry zum brüderschaft trinken aufforderte. jules war etwas ins abseits geraten und beschäftigte sich mit einem potentiellen aufriss, während sie den bruderschaftskuss eine spur länger ausfallen liess und dabei mit ihren lippen ganz leicht seine oberlippe umschloss.

episode 7

ach du liebes bisschen! sybille begrüßte den tag mit einem lauten stöhnen und kroch in die küche, um sich mit einer tasse rooibos-vanille-tee so etwas ähnliches wie einen guten start zu verschaffen. jedes mal, wenn sie den fetten kater von der einen schulter stieß, saß er bereits wieder auf der anderen, oder hatte sie sich gleich zwei davon eingefangen? sie schnäuzte sich heftig. warum hatte sie sich bloß auf diese dummheit eingelassen? den tag konnte sie wieder mal komplett in die tonne kloppen. das ganze wochenende war sie mit jules und sören umhergezogen und hatte unbotmässig viel alkohol getrunken. schwächelte einer von ihnen, verschwanden sie zu dritt auf dem klo, um unverzüglich putzmunter wieder weiterzumachen. eigentlich ging das seit sylvester so. jules nannte das: „die wochenendrutsche“. ganz schön lange riesenrutsche war das. fahrt aufgenommen hatte sie zwischen den jahren, als sie mit mums altem vw lupo back to berlin sauste. der mehrwertsteuererhöhung sei dank hatte paps zum jahresende alle rabatte studiert und rechtzeitig mums traumwagen, einen vw beetle, bestellt. sybille bekam ihre lupine wie sie den wagen gleich liebevoll getauft hatte. seitdem ging’s in dem tempo durch die woche. freitags nach der uni schnurrte sie geschwind nach hause, schnell was essen, stündchen nickerchen machen, eine weitere stunde outfit für den abend zusammenstellen, dann rüber zu jules, vorglühen bis sören irgenwann auftauchte und nix wie los ins rio. der freitag war nicht immer so exzessiv, aber der samstag ging dafür gleich bis sonntag mittag, die ganze nacht entweder im taxi, an der bar oder auf der toilette. beim konsumieren in den engen kabinen stand sie so nah bei sören, dass jedes mal ein prickeln auf ihrer haut einsetzte. dieses wohlige gefühl hatte sich in weite ferne verabschiedet, dafür hatte sie jetzt eine triefnase. ob das wohl gestern auch schon so unattraktiv aussah? sie hatte das gefühl, die ganze zeit hinge ein feuchter tropfen am rechten nasenloch. war das jetzt ein erfolgreicher abend in ihrem sinne? mühsam versuchte sie bilanz zu ziehen, aber das pendel schlug in keine richtung aus. eloquenz und selbstsicherheit, zutaten des gestrigen abends, waren möglicherweise opfer der katerhorde geworden. ein weiterer vertreter hatte sich bereits auf ihrem kopf niedergelassen und schlug ihr seine krallen bei jeder bewegung tiefer ins hirn. wenigstens der tee war geschwind zubereitet. wasser in die tasse, ab in die mikrowelle, beutel rein und im nu verbreitete sich der heimelige, von einer schweren süsse erfüllte duft ihres lieblingstees. immer wenn das vanillearoma alles beharrlich überdeckte, bekam sie ihr perönliches zu hause gefühl. sie kuschelte sich in ihren lieblingssessel und begann die vergangene nacht zu rekapitulieren. jules hatte sie geschickt in der mitte platziert. links saß ihre hilfreiche freundin, rechts er und sie wie eine königin in der mitte. ihr barhocker war dabei auf unsichtbaren schienen näher an seinen gefahren worden. komisch, hatte sie ein paar mal gedacht, in dem maße in dem wir uns besser verstehen, entfernt sich jules immer mehr von mir.

24.04.09

episode 3

sybille seufzte frustriert. manchmal fühlt man sich ganz schön verloren in so einer stadt, dachte sie und schrubbte weiter die sohle ihrer neuen sneaker. als wäre nicht eh schon alles trist genug, war sie kurz vor der haustür noch in einen grossen haufen getreten. na danke, jetzt darf sie die ganze scheisse aus dem profil kratzen, die spülbürste kann sie dann wegwerfen und den eimer eigentlich auch, so voller hundescheissewasser wie der ist. sie kippte das wasser in die toilette. eigentlich musste sie die jetzt auch gleich putzen, is ja ekelhaft wenn man sich da hinsetzen muss, wo man vorher die hundekacke runtergespült hat. sie schüttelte sich. kalt war ihr auch. und das obwohl die heizung auf vollen touren lief. die stadt ist kalt, das liegt an der ganzen hektik hier. Ja genau, auf einer zwischenmenschlichen ebene eiskalt, sinnierte sie und seufzte ein weiteres mal. na, erst mal einen latte macchiato. seit sie von paps die neue maschine bekommen hatte, liess sich der im nu zaubern. einfach ein kaffeepad in das gerät schieben und den knopf drücken, milch in die mikrowelle und fix aufschäumen. ach wie schön, sie hatte ja auch noch was von dem karamellsirup. supi, einen karamell latte macchiato! Ja, jetzt sitzt man hier in der simon-dach-strasse und wäre am liebsten woanders, dachte sie bei sich. eigentlich mochte sie ihren kiez. bis auf den schmutz überall natürlich, und die hundescheisse. als sie sich die gegend letztes jahr im frühling angesehen hatte wirkte alles so nett. auf der fahrt nach berlin blätterte sie den prospekt vom makler durch: „von vielen frühstückscafès umgeben wohnen sie direkt in einem der interessantesten stadtteile berlins. sonntags trifft sich die szene auf dem flohmarkt am boxhagener platz, anschließend geht man zum gemütlichen brunch in eines der zahlreichen szenecafés und bespricht die anstehenden projekte.“ und so war es dann auch. mit mum und dad hatte sie vor dem café hundertwasser gesessen und sich ausgemalt, wie das alte hässliche haus auf der anderen straßenseite in dem sie bald wohnen würde, nach der sanierung aussehen könnte. sie wollte natürlich im vorderhaus wohnen, mit sonnenbalkon. immerhin ein morgensonnenbalkon ist es dann auch geworden. insgesamt hatte also alles einen ganz zufriedenstellenden anfang genommen. nur dass ihre freundin jules partout nicht nach friedrichshain ziehen wollte, sondern nach kreuzberg. In kreuzberg wohnen wäre für sybille undenkbar, da ist doch alles gleich noch viel dreckiger und insgesamt auch von der unruhe her kaum auszuhalten. sie mochte es halt lieber eine spur ordentlicher. und die uni, na ja. zum semesterabschluss mussten die erstsemester doch tatsächlich die kollektionen der älteren als model auf dem laufsteg präsentieren. nützt ja nichts. hätte sie sich da gedrückt, wäre das negativ aufgefallen. aber diese christiane für die sie laufen musste war vielleicht eine eingebildete kuh. sybille hatte ihr extra noch vorschläge gemacht, wie man die entwürfe minimal hätte abändern können, damit sie besser zur geltung kommen, und die hatte nur gesagt: „es geht hier um die originalität des entwurfs und nicht um deine problemzonen. ein perfektes model wäre mir auch lieber gewesen.“ war ja ihre note, dumme gans. hinterher hatte sich sibylle erst mal ordentlich im white trash die kante gegeben. von mode hab ich selber ahnung, dachte sie, auch paps hat immer gesagt ich sei eine kreative mit dem blick für die wichtigen details. im designentwurf verkörpert sich eben nicht nur die originalität des designers, sondern auch ein weltverhältnis. da wird im entwurf ganz viel kommuniziert und unterm strich inhalt geschaffen. beziehungen sind die eigentliche aufgabe eines designers. beziehungen schaffen und themen setzen, das muss man als designer eigentlich wollen. gut, da war sie jetzt nicht ganz von allein drauf gekommen. das hatte professor möricke, zumindest hatte sybille es so verstanden, in ihrem lieblingsseminar vom designer- ich zum contentprovider gesagt. sie nickte zufrieden vor sich hin. das war wirklich wichtig. so wie halt ein schal nicht nur ein nützliches kleidungsstück für den winter ist, sondern ein fashion-statement. das muss als attitude natürlich richtig platziert werden. im richtigen look erscheint immer ein lebensstil als modisches element. wenn sie sich später mit jules trifft muss sie ihr das gleich erzählen. ob sören wohl auch dabei sein würde? das war einer von jules neuen freunden. sie seufzte erneut, aber diesmal behaglich. es klang wie das zufriedene gurren einer sattgewordenen stadttaube. letzte woche waren sie alle zusammen auf einem konzert im west germany . „ganz spannender live act“, hatte er gesagt, „die sind ganz tief in einem historischen kontext verwurzelt, das ist popkulturell der kollektivgedanke, eine künstlerkommune, in der richtung passiert in new york gerade eine ganze menge. hier trifft das urban digitale auf das traditionell archaische, laptop folk eben.“ während sie da ganz nah bei ihm stand, hatte sie sich gleich so sicher gefühlt wie früher, als sie mit paps das reitturnier in der holstenhalle besuchte, nur ein bisschen verwegener.