27.04.09

episode 9

sybille dehnte den entscheidenden moment so lange es eben ging und schloss träumerisch die augen. „sören, brüderschaft trinken“ hatte sie gerufen, flugs zwei wodka bestellt, ihre lippen berührten sich zum bruderkuss, sie spielte kurz mit seiner oberlippe. „lecker, schmeckt nach wodka, könnt ich noch einen von vertragen,“ kicherte sie nervös, um anschliessend noch zwei zu ordern. dabei beschlich sie das gefühl, jules schielte heimlich herüber, mit einem leicht überlegenen grinsen im gesicht. überhaupt schien es ihr, als sässe sie vollkommen ausgeleuchtet auf einer bühne und die wenigen leute im zuschauerraum raunten sich abfällige bemerkungen zu. hoffentlich sass sie gerade und hoffentlich merkte niemand, dass sie zu schwitzen begann. unruhig rutschte sie in ihrem sessel herum. erst mal was frühstücken und auf andere gedanken kommen. zur zeit gerann alles in diesem von grellen scheinwerfern angestrahlten standbild. dafür würde sie sicher keinen applaus bekommen. kein wunder, hatte sie doch zusätzlich auch noch ihren text vergessen. das telefon klingelte und sybille pries innerlich die rufnummernanzeige. mum oder dad hätte sie jetzt kaum ertragen, da machte sie sich lieber auf den weg in die küche auf der suche nach etwas essbaren. immer wieder brach das knäckebrot bei dem versuch sich ein paar happen zurecht zumachen auseinander und krümelte den ganzen küchentisch voll. verflucht noch eins, maulte sybille vor sich hin, die lätta ist doch eine streichfeine margarine. knacks! schon wieder! während sie die sprossen auf die bruchstücke streute, begann sich die bühne mit leben zu füllen. hast du nicht gesehen stand raiko neben ihr: der scharwenzelte bereits seit geraumer zeit um sie herum, seine aufdringliche art fand sie irgendwie total abtörnend. „hi sybille,“ begrüsste er sie aufgeregt, „schon den ganzen abend hier oder gerade erst gekommen? wir haben das beim letzten mal ja gar nicht zu ende besprochen mit dem kaffee trinken, du hast auch vergessen, mir deine nummer zu geben.“ wie peinlich. raiko war eigentlich ganz nett, aber wie konnte er denken, sie interessiere sich für ihn? bloss weil er einen buchladen besass, war er noch lange kein spannender typ. null aura, eher weniger als null sogar. gott sei dank drängelten seine jungs und er musste weiter. „gott sören, der kötert mir vielleicht hinterher. einmal freundlich und schon haste solche leute am hacken.“ – „ja, so kanns einem gehen. reich mir doch bitte das wasser da drüben, das hab ich nämlich schon vor ner halben stunde bestellt und würds auch gern trinken, aber du drückst mich hier immer weiter in die ecke,“ hatte er ruhig geantwortet, war aufgestanden, um sie herum gegangen und stellte sich, leicht abgewandt, zu jules. vernahm sie da etwa ein lachen aus dem parkett? bloss ohne stolpern runter von der bühne.

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