24.04.09

episode 3

sybille seufzte frustriert. manchmal fühlt man sich ganz schön verloren in so einer stadt, dachte sie und schrubbte weiter die sohle ihrer neuen sneaker. als wäre nicht eh schon alles trist genug, war sie kurz vor der haustür noch in einen grossen haufen getreten. na danke, jetzt darf sie die ganze scheisse aus dem profil kratzen, die spülbürste kann sie dann wegwerfen und den eimer eigentlich auch, so voller hundescheissewasser wie der ist. sie kippte das wasser in die toilette. eigentlich musste sie die jetzt auch gleich putzen, is ja ekelhaft wenn man sich da hinsetzen muss, wo man vorher die hundekacke runtergespült hat. sie schüttelte sich. kalt war ihr auch. und das obwohl die heizung auf vollen touren lief. die stadt ist kalt, das liegt an der ganzen hektik hier. Ja genau, auf einer zwischenmenschlichen ebene eiskalt, sinnierte sie und seufzte ein weiteres mal. na, erst mal einen latte macchiato. seit sie von paps die neue maschine bekommen hatte, liess sich der im nu zaubern. einfach ein kaffeepad in das gerät schieben und den knopf drücken, milch in die mikrowelle und fix aufschäumen. ach wie schön, sie hatte ja auch noch was von dem karamellsirup. supi, einen karamell latte macchiato! Ja, jetzt sitzt man hier in der simon-dach-strasse und wäre am liebsten woanders, dachte sie bei sich. eigentlich mochte sie ihren kiez. bis auf den schmutz überall natürlich, und die hundescheisse. als sie sich die gegend letztes jahr im frühling angesehen hatte wirkte alles so nett. auf der fahrt nach berlin blätterte sie den prospekt vom makler durch: „von vielen frühstückscafès umgeben wohnen sie direkt in einem der interessantesten stadtteile berlins. sonntags trifft sich die szene auf dem flohmarkt am boxhagener platz, anschließend geht man zum gemütlichen brunch in eines der zahlreichen szenecafés und bespricht die anstehenden projekte.“ und so war es dann auch. mit mum und dad hatte sie vor dem café hundertwasser gesessen und sich ausgemalt, wie das alte hässliche haus auf der anderen straßenseite in dem sie bald wohnen würde, nach der sanierung aussehen könnte. sie wollte natürlich im vorderhaus wohnen, mit sonnenbalkon. immerhin ein morgensonnenbalkon ist es dann auch geworden. insgesamt hatte also alles einen ganz zufriedenstellenden anfang genommen. nur dass ihre freundin jules partout nicht nach friedrichshain ziehen wollte, sondern nach kreuzberg. In kreuzberg wohnen wäre für sybille undenkbar, da ist doch alles gleich noch viel dreckiger und insgesamt auch von der unruhe her kaum auszuhalten. sie mochte es halt lieber eine spur ordentlicher. und die uni, na ja. zum semesterabschluss mussten die erstsemester doch tatsächlich die kollektionen der älteren als model auf dem laufsteg präsentieren. nützt ja nichts. hätte sie sich da gedrückt, wäre das negativ aufgefallen. aber diese christiane für die sie laufen musste war vielleicht eine eingebildete kuh. sybille hatte ihr extra noch vorschläge gemacht, wie man die entwürfe minimal hätte abändern können, damit sie besser zur geltung kommen, und die hatte nur gesagt: „es geht hier um die originalität des entwurfs und nicht um deine problemzonen. ein perfektes model wäre mir auch lieber gewesen.“ war ja ihre note, dumme gans. hinterher hatte sich sibylle erst mal ordentlich im white trash die kante gegeben. von mode hab ich selber ahnung, dachte sie, auch paps hat immer gesagt ich sei eine kreative mit dem blick für die wichtigen details. im designentwurf verkörpert sich eben nicht nur die originalität des designers, sondern auch ein weltverhältnis. da wird im entwurf ganz viel kommuniziert und unterm strich inhalt geschaffen. beziehungen sind die eigentliche aufgabe eines designers. beziehungen schaffen und themen setzen, das muss man als designer eigentlich wollen. gut, da war sie jetzt nicht ganz von allein drauf gekommen. das hatte professor möricke, zumindest hatte sybille es so verstanden, in ihrem lieblingsseminar vom designer- ich zum contentprovider gesagt. sie nickte zufrieden vor sich hin. das war wirklich wichtig. so wie halt ein schal nicht nur ein nützliches kleidungsstück für den winter ist, sondern ein fashion-statement. das muss als attitude natürlich richtig platziert werden. im richtigen look erscheint immer ein lebensstil als modisches element. wenn sie sich später mit jules trifft muss sie ihr das gleich erzählen. ob sören wohl auch dabei sein würde? das war einer von jules neuen freunden. sie seufzte erneut, aber diesmal behaglich. es klang wie das zufriedene gurren einer sattgewordenen stadttaube. letzte woche waren sie alle zusammen auf einem konzert im west germany . „ganz spannender live act“, hatte er gesagt, „die sind ganz tief in einem historischen kontext verwurzelt, das ist popkulturell der kollektivgedanke, eine künstlerkommune, in der richtung passiert in new york gerade eine ganze menge. hier trifft das urban digitale auf das traditionell archaische, laptop folk eben.“ während sie da ganz nah bei ihm stand, hatte sie sich gleich so sicher gefühlt wie früher, als sie mit paps das reitturnier in der holstenhalle besuchte, nur ein bisschen verwegener.

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