27.04.09

episode 10

eine schier unendliche zeitspanne verharrte sybille ohne jede regung. erst als ein verspannungsschmerz über schultern und nacken in kopf und rücken strahlte erreichte sie einen zustand relativer wachheit. von weitem hörte sie die klingeltonmelodie ihre telefons wieder und wieder herumdudeln. hatten jules und sie damals gemeinsam für ihre handys ausgesucht. polyphon verstümmelte fragmente irgendeines gemeinsamen lieblingsliedes. sie wusste längst nicht mehr wie es hiess und was ihr daran gefiel und jules hatte das anrufsignal inzwischen zig mal gewechselt. wie sollte sie bloss einen schritt in den tag hinein machen, wohin den fuss setzen? alles drehte sich um sich selbst und umeinander. ihr war speiübel, wie auf dem kettenkarrussel in das onkel werner sie auf einem rummelplatzausflug unverlangt gesetzt hatte. „da steht: ab sechs jahren und das bist du ja nun“ hatte er gesagt. schon wurde sie im kreis herumgeschleudert, starr vor furcht, die ketten könnten reissen und sie würde ins schwerelose nichts hinausgeworfen werden. anfangen, irgendwomit musste sie anfangen. wenn sie anfangen wollte, musste sie eine liste machen. listen hatten ihr immer geholfen. allein das sortieren von vorhaben gab den befehl loszulegen. ausser 1. zur hölle mit sören und 2. neues leben anfangen, wollte ihr jedoch gerade kein zündender gedanke kommen. genau genommen hatte sie niemals ein eigenes leben gehabt. diese herumvagabundierende feierei der letzten wochen mit all den ungesunden zutaten, den kopf voll mit sören. schales vergnügen unterm strich. selbst ihre möbel waren nicht ihre, die hatten mum und dad ausgesucht. dieses blöde, avantgardistisch eckige teeservice, war das ihres? wurde mal zeit sich selbst in augenschein zu nehmen! vorsichtig trat sie vor den spiegel. grau sah sie aus, nur die augenringe verliehen ihrem gesicht konturen, sonst war alles schlaff. stumpf. und kneipenhaare hatte sie, voller rauch und schweiss. aber inzwischen lang genug, um sie hinten lässig zu einem pferdeschwanz zu binden. mit flinken fingern griff sie sich ein haargummi. sah gar nicht so übel aus. schlampig cool auf ne art. noch ein trägerunterhemd mit ausgewaschenem kleinmädchen muster, jeans und stiefel, yepp! sie begutachtete sich von allen seiten. das fühlte sich nicht mehr nach den ganzen tag mit verheulten augen coldplay hören an, das war queen bitch. jules hatte gestern was von einer spätnachmittag after-afterhour party gequatscht. sören würde stielaugen machen wenn sie da so aufliefe. gute gelegenheit sich irgendwie zu rächen! sonnenbrille aufsetzen und die treppe hinunter waren eins. einmal zuckte sie noch kurz zusammen als die tür hinter ihr ins schloss fiel. draussen war frühling, die ganze strasse voller flaneure, sie würde sichtbar werden. da war sie bereits mittendrin. „na, dann seht mich doch an“ hämmerten ihre schuhe auf das pflaster.

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