20.07.10

episode 17

die bettdecke war zu schwer für die beine. die lagen wie aufgequollene holzpflöcke auf der matratze. inständig bettelte sybille darum, in einen tiefen, traumlosen schlaf fallen zu dürfen, aber wenn sie sich ein kleines bisschen hinabsinken liess, prasselten unablässig bestellungen auf sie ein. kaum war ein tablett rausgetragen, standen zwei neue bereit, oder sie musste den korkenzieher suchen, und wenn sie verzweifelt aufgab, stand die flasche mit einem mal geöffnet genau vor ihr. keiner sah sie an, aber alle wollten etwas von ihr. einfach still liegen und sich auf das gleichmässige rauschen des regens konzentrieren. sybille wälzte sich hin und her, lagerte ihre beine um, knipste die lampe an und versuchte zu lesen bis ihr die augen zufielen, um dann mit erschlaffender hand das licht zu löschen, damit alles wieder von vorne begann. da war das unruhige pochen ihres herzens, ihr eigenes atemgeräusch und das blut sauste in den ohren, während ihre füsse in einem fort schrien: „wir sind müder als du! du darfst erst einschlafen wenn wir ausgeschlafen haben!“ was für eine tortur. das entsprach genau der schinderei der letzten wochen. zwar hatte sie durchgehalten und sich nicht endgültig einschüchtern lassen von all den gehässigkeiten ihrer kolleginnen oder peers launischem verhalten. inzwischen hatte sie begriffen: peer war ein morgenmuffel, abends war er viel umgänglicher, meistens sogar charmant. aber auch wenn sie diese klippe jetzt umschifft und die probezeit überstanden hatte, lag wieder ein gewaltiger berg vor ihr. bald würde das semester wieder beginnen und das hiess jules und sören unter die augen treten. dann rückte auch ihr geburtstag immer näher. ursprünglich hatte sie vorgehabt, den ganz gross zu begehen, denn ungefähr zu diesem zeitpunkt war sie auch nach berlin gezogen. im februar hatte sie schon pläne geschmiedet: „ein jahr sybille in berlin!“ das wäre mal ein partymotto gewesen! als einladung hätte sie einfach ihre meldebestätigung verschickt. nur, wen sollte sie jetzt einladen? ausser babs und miri waren nicht viele übriggeblieben. raiko etwa? peer? überdies hatten mum und dad ihren besuch für diesen zeitraum angekündigt. was sollte sie denen bloss sagen? ein jahr berlin und nicht einen halben millimeter tritt gefasst? sybille schlug ihre bettdecke zurück. die drückte nicht nur auf ihre müden beine, sondern schnürte ihr auch noch die luft ab. konnte man schlaflosigkeit eigentlich träumen? so wie sie zwar die schlechten träume der kindheit überwunden zu haben glaubte, jetzt aber das träumen von albträumen träumte. unterschieden sich erwachsene und kinder etwa auf diese weise voneinander? indem sie nicht mehr beim schwimmen den sog in die tiefe spürten, sondern der angst zusehen konnten?

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