20.07.10

episode 12

warum? die frage trieb sybille vom prenzlauer berg die danziger strasse runter nach hause. sie lief den ganzen weg zu fuss, hastete mehr, als dass sie ging. ein taxi zu winken, fehlte ihr die kraft und die strassenbahnhaltestellen waren umlagert von gruppen oder pärchen, die sich mit einem sonntagabend-schwips das wochenende vergoldeten. noch sah sie sörens rythmisch arbeitenden rücken, anettes keuchend geöffneten mund. diese entrückt leeren augen. hatte sie jetzt sören und anette erwischt oder war sie die ertappte? warum war mit einem mal alles falsch? was war jetzt noch richtig? dabei war sie doch mit leichtem flügelschlag und gänzlich unbeschwert in ihre berliner zeit aufgebrochen. auf dem boxi erstand sie ein klapprad, klemmte eine bunte plastikblume an den lenker und erkundete damit die stadt. frohgemut bummelte sie durch die kastanienallee, hatte dort in einer coolen kleinen boutique ein shirt mit der aufschrift: the aim of design is to define space entdeckt, dies als angehende modedesignerin selbsvertständlich sofort gekauft und zu semesterbeginn gleich angezogen. vielleicht fingen da die fehler bereits an. „du weisst, dass das ein band shirt ist? hast du dir die wenigstens mal angehört?“ lautete jules abschätziger kommentar. schönes shirt. falsch verstanden. falscher zeitpunkt. falsches hochgefühl. warum kam ihr jetzt malte in den sinn? drei jahre waren sie zusammen, aber als sie ihre berlin-pläne schmiedete, wollte er erst mal bankkaufmann lernen und dann was entsprechendes studieren. das roch nach doppelhaushälfte! sie machte kurzerhand schluss und verzichtete darauf, sich vor dem umzug bei ihm zu verabschieden. aus pietätsgründen lag noch eine schachtel mit beziehungsfotos unter ihrem kleiderschrank. in berlin zog sie dann mit jules und deren hofstaat umher. liess von dieser warte aus birgit und andrea hochnäsig abblitzen, obwohl die ihr beim nähen und beim schnitt aus der patsche halfen. nie ging sie ans telefon, wenn eine von den beiden anrief, setzte sich stattdessen in der uni lieber zu jules und ihren leuten. von denen rief nie jemand an. aufkommende scham liess eine gänsehaut heraufziehen: jules hatte sie nur aus verpflichtung immer mitgenommen. sie war gerade mal ein geduldetes ‚dabei’ gewesen. bremsen quietschten. ein fahrrad wäre beinahe in sie hineingerauscht. „mensch sybille, hab’ dich gar nicht gesehen!“ schon wieder raiko! „was los? willst du ein stück mit? ich fahr auch in `n hain.“ mechanisch nahm sie auf dem gepäckträger platz, schlang zum festhalten einen arm um ihn, lehnte den kopf an seinen rücken, liess sich transportieren. „ich geb’ dir noch mal meine nummer!“ riss er sie aus ihrer benommenheit. schon da? verwirrt kramte sie ihren schlüssel hervor. „ausserdem weisst du ja, wo ich arbeite, nur falls du sie aus versehen wegwirfst. mich findet man eigentlich immer!“ sprach’s, reichte ihr einen zettel mit seiner telefonnummer, klingelte kurz und beschleunigte rasch. aufkommender wind nahm ihr das papier aus der hand, trieb es in die höhe und mit sich fort. irgendetwas musste sie finden, irgendetwas wartete nicht.

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