20.07.10

episode 32

viel zuviel zwiebeln, hol ich mir das nächste mal lieber wieder einen döner. „ohne zwiebeln, ohne knoblauch, sonst komplett“. einfacher geht’s nicht. sybille sortierte mit der einen hand die zwiebeln aus den bratkartoffeln, mit der anderen hielt sie sich das buch vors gesicht. las aber nicht sondern schielte angestrengt über den rand hinweg auf den nachbartisch. „man, mach den mund zu. geht ja gar nicht!“ durchfuhr es sie. irgendwann in der schulzeit hatten sie im biologieunterricht eine ganze stunde lang einen film geguckt über das aufzuchtverhalten von vögeln. in großaufnahme und zeitlupe. die kleine brut reckte den eltern, nach futter heischend, ihre weit aufgerissenen schnäbel entgegen. am nebentisch lief’s genauso.
sie hielt ihm mit liebevollem blick ein aufgespießtes stück fleisch vors gesicht und, als wäre das nicht schon dämlich genug, öffnete sie dabei selbst ihren mund und bekam auch prompt, noch während er die freundliche gabe kaute, etwas von seinem teller herübergereicht. abschließend hoben sie sich leicht von den stühlen einander entgegen und küssten sich. hätten sie auch von vornherein machen können: futtertausch. so wie demonstrativ verliebte teenager auf dem pausenhof ihre kaugummis minutenlang hin und herschoben. Ekelhaft! obendrein schmeckte ihr eigenes essen nach nichts anderem als nach zwiebeln. selbst das schnitzel.
und wieder schwebte die gabel quer über den tisch, zwei geöffnete münder und in die gegenrichtung und kuss. bestellt euch doch gleich zwei gerichte in einer schüssel und rührt es ordentlich durch, dachte sybille. essen in der öffentlichkeit hatte so oder so etwas entlarvendes. krummrückiges hineinschaufeln und schlingen, soße am kinn, schmatzen, schlürfen, arbeitsames gekaue. dieses fleißige das ist aber lecker! das genussgestöhne und herumgeseufze. restaurant porno. der appetit war ihr endgültig vergangen.
vielleicht kann man ja an der art, wie die leute essen, sehen, wie sie küssen, überlegte sybille. möglicherweise stieß es ihr deshalb so auf: weil sie noch die geburtstagsküsserei mit raiko auf dem mund trug. sie hatte so lange nicht geküsst und wie er da lag, schlafend, hatte sie mit ihren lippen seine umfasst. warmes weiches britzeln. schön war’s. obwohl. das wusste sie gar nicht mehr so genau. sie hatten sich kaum gerührt, wohl stundenlang, immer wieder vom schlaf unterbrochen sich geküsst, dabei die augen geschlossen gehalten. ihr eines knie zwischen seinen aber die hüfte dabei konzentriert weggebogen, um ja nichts zu spüren. schlüssel, telefon. und auch er schien darauf erpicht. regungen ohne erregungen. mal die lippen am hals des anderen, leichte bewegungen der hände, die säume entlang, nie darunter.
danach war alles wie vorher – oder auch nicht.
sie hätte ihn am telefon fragen können, ob er mitkommt zum essen. mit ihm über die paare lästern können. die waren überall. alles voller pärchen. an einigen tischen gleich zwei davon. aber sie hatten sich geküsst. die augen zu, als wäre es gar nicht wahr. alles hatte jetzt eine andere bedeutung. sagt man: hallo!
sagt man: hey ... du. geht man ans telefon. ruft man rechtzeitig zurück. sagt man: schön das du da bist!?

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