20.07.10

episode 29

sybille sah sören direkt in die nase. grauenhaftes foto, sah dämlich aus. sie hatten sich damals wohl nach dem feiern bei mcdonalds mit geschmacksverstärktem fett versorgt, hockten zu dritt in der grellen fast food beleuchtung, die köpfe zusammen gesteckt. sie musste an dem tag eine ganze fotostrecke gemacht haben, das war inzwischen das zehnte bild, alle am gleichen tag im ordner „wochenende“ abgelegt. welches wochenende? irgendeins? alle? hätte sie mal dazu schreiben sollen. klamotten waren immer dieselben. mal hatte sören sein pete doherty hütchen auf dem hinterkopf und mal nicht, mal eine sonnenbrille auf, mal beides. jules hatte ihren kussmund-reflex angeworfen und sie hatte die kamera gehalten und daher angestrengt aufgerissene augen. der gestreckte arm beim sich selbst fotografieren erzeugt immer eine komische perspektive, überlegte sybille. entweder man blickte wie eine meute kleiner devoter hündchen nach oben und den mädchen konnte man tief ins Dekollete schauen oder man wurde von unten erwischt. was in diesem fall einen tiefen einblick in sörens nase ermöglichte. sie zoomte das bild heran. vollbildmodus. jetzt war sie fast schon drin. am inneren rand beider nasenflügel klebte eine schrundige kruste. wie der eingetrocknete kaffee, milchschaum, zucker rest in ihrem macchiato-glas. eine mischung aus blut, rotz und koks. sie hatten da gesessen mit der überheblichkeit der immer noch wachen im gesicht. dabei sah man die erschöpfte haut unter dem für die nacht angelegten make up, die kleider waren an stellen beulig und knittrig getanzt, an denen sie eigentlich perfekt sein sollten. sie hatte sich selbst fotografiert, aber sie erkannte sich nicht. wann habe ich aufgehört in den spiegel zu sehen? ich benutze ihn doch? passt die hose zu den schuhen? shirt oder bluse? pullover? ich schaue doch in den spiegel, aber ich betrachte mich nur als eine halb angesehene fremde, wie durch eine schablone, die nur ausschnitte herzeigt! ich richte mein haar, zupfe die augenbrauen, mache die wimpern, lege lippgloss auf, glänzt die nase, pudere ich sie. ich mache all das. ein gespenst aus der wohnung zu vertreiben, ist eine einfache angelegenheit: man legt ein frisches hühnerei in jede ecke, brennt einen bunten kräuterstrauß ab und hat drauf zu achten, dass währenddessen ein fenster geöffnet bleibt, damit es dann auch verduften kann. aber wenn man es sich selbst in den kopf gesetzt hatte? drei unvollendete liebesbriefe an sören lagen zerrissen auf dem fußboden, irgendetwas musste geschehen damit, ein ritual musste her, der hausmüll hatte nicht genug symbolische kraft. am besten anzünden! sybille lief in die küche, legte die schnipsel in einen kochtopf, zündete sie an und schritt, noch während ihre liebesschwüre asche wurden, feierlich zum balkon. dort ließ sie den wind seine arbeit verrichten.
„raus aus meinem kopf, geh raus aus meinem kopf, geh nach hause“. sie schrie und es war ihr egal was die nachbarn denken mochten oder die touristen auf der straße, sie wollte endlich wieder in einen richtigen tag, in die nacht, die wärme, die kälte. zu den anderen: in die grünen und blauen und braunen augen, die arme und hände. hin zu anderer haut, in anderen atem, gerüche. das eigene herz klopfen lassen und dem der anderen lauschen.

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