20.07.10

episode 31

sybille räkelte sich in den morgen. so gut und tief und fest hatte sie seit monaten nicht geschlafen. sie war langsam und stetig hinabgesunken wie auf einem wölkchen, im einschlafen hatte sie noch gedacht: „gleich schlafe ich.“ an dem punkt verwandelte sich das sanfte gleiten normalerweise in einen endlosen, rasenden sturz durch einen tiefen schacht. ein ewiges halbbewusstloses immmer wieder hochschrecken bis der wecker klingelte. wenn sie den noch im liegen ausschaltete, dann konnte es passieren, dass sie wie narkotisiert endlich eine art schlaf fand, aus dem sie verspannt und wie gerädert mit kopfschmerzen fünf stunden später heraustaumelte. gestern abend war es eher eine erstaunte feststellung: „ich schlaf ja gleich. tatsächlich, ich schlafe!“ ein beglücktes gemurmel. vielleicht lag’s am rotwein.
sybille setzte sich auf. es schneite immer noch. puderzuckrig und stetig. sie sah von ihrer position aus die baumwipfel umhüllt von kleinen verwirbelten flocken. verschneite bäume, das winter-gegenstück zu einem sommersonnenuntergang in prachtrosa, dachte sie, fehlt nur, dass sich eine lichtung auftut und ein scheues reh sich vorsichtig der futterkrippe nähert. eigentlich wusste sie gar nicht, wo sie war. „du hast geburtstag und dir geht’s nicht gut, also musst du in den wald!“ hatte raiko gesagt, herumtelefoniert und war mit ihr nach thüringen gefahren. „was soll ich in einer arschkalten hütte im wald“, hatte sie nach der ankunft gemault, aber er packte sie in eine wolldecke, hackte holz, machte den ofen an, kochte spaghetti mit hacksoße, entkorkte eine flasche wein, sagte: „so! essen, trinken, schlafen!“ und jetzt war sie aufgewacht um acht und glücklich. raiko schlief noch. sie stupste ihn leicht. er brummte und drehte sich auf die andere seite. „das war der schönste geburtstag seit – keine ahnung“, flüsterte sie. und: „du liegst da und brummst wie ein großer traumbär. weißt du was ein traumbär ist? du hast auf mich aufgepasst beim einschlafen, jetzt bleibe ich hier sitzen bis du aufwachst.“ vorsichtig strich sie ihm mit dem finger das haar aus der stirn. schlafenden konnte man alles sagen. wenn man sie nicht mochte, konnte man gemein sein und sie in einen albtraum stoßen, wenn man sie mochte, konnte man sie flüsternd begleiten bis sie die augen aufschlugen. sie hatte lust, ihn zu küssen. kein brennendes verlangen, nicht entflammt wie in einem groschenroman. nur so. küssen.
vielleicht liebe ich ja raiko, dachte sie, kann sein, dass ich immer schon raiko liebe, ohne es zu merken. er ist da, wenn ich ihn brauche, und er träumt gerade neben mir. jetzt kann ich ihn alles fragen. „soll ich dich küssen?“ ganz leise. hatte er ja gesagt?

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