20.07.10

episode 27

wasser lauwarm. luft lauwarm. macht zusammen irgendwie kalt. sybille mochte nicht aus der wanne steigen und liess noch ein wenig heisses wasser nachlaufen. eine zigarette wäre jetzt schön. aber vollkommen sinnlos aus dem halbkalten badewasser zu steigen, um frierend und klatschnass durch die wohnung zu laufen und kippen und ascher aus der küche zuholen. bloss nicht mehr bewegen als nötig. die zigarette würde eh durchfeuchten zwischen ihren schrumpelig aufgeweichten fingern.
wie lange liege ich eigentlich schonhier herum? so lange wie der mozzarella im kühlschrank? der war bestimmt auchschon wieder schlecht. so lange wie die bohrmaschine von babs unbenutzt neben der tür stand? länger? so lange wie das gewürzregal darauf wartete angebracht zu werden? dafür hatte sie sich die bohrmaschine ja ausgeliehen. im sommer wollte sie das unbedingt noch an die wand schrauben und die zeit wurde langsam knapp. was solls, dachte sie, diese woche erledige ich das. erst bringe ich das regal an, dann räume ich den kleiderständer auf und dann ziehe ich die schrauben vom schutzblech nach. sie war doch wohl in der lage, ein paar löcher in die wand zu bohren! einmal kurz ausmessen und dann konnte es losgehen. entweder an die wand beim küchentisch oder links neben den herd oder rechts neben den herd oder über den herd? wenn es einmal hing dann hing es. es gab gar nicht so viele möglichkeiten, die einbauküche verhinderte gestalterisch vieles. vielleicht war das gut so. wenn sie aus drei verbleibenden möglichkeiten keine auswählen konnte, wie sollte sie dann vor einer komplett leeren, weissen wand stehend eine entscheidung treffen?
einmal war sie heimlich in sörens schlafzimmer geschlichen. das bett war nicht wie bei den meisten irgendwo in die ecke gedrückt, sondern präsentierte sich mitten im raum und an die wand hatte er ein riesiges pop art gemälde in roy liechtenstein manier gemalt. woher hatte er gewusst, dass es genau an dieser wand so toll aussehen würde? traummann mit traumschlafzimmer. dort wäre sie gerne zur ruhe gekommen.
war sie aber nicht. sie hatte zuhause gesessen und liebesbriefe geschrieben. drei angefangene liebesbriefe an sören lauerten noch immer in ihrer unteren schreibtischschublade. unvollendete briefe in einer seit monaten ungeöffneten schublade. sybille bekam einen ganz heissen kopf bei dem gedanken. sie zog den stöpsel aus der wanne, machte aber keine anstalten aufzustehen. „ich habe noch das gewürzregal in der küche anzubringen, ich habe den kleiderständer aufzuräumen, das schutzblech anzuschrauben und ich habe drei angefangene liebesbriefe an sören zu ende zu schreiben oder gleich zu zerreissen“. oh gott. vielleicht ging ja die schublade gar nicht mehr auf. die briefe in die hand zu nehmen hiess ja auch das geschriebene vor augen zu haben.
„sören“ stand da, viele male: „sören“ und „du “viele male „du, du ... du ... du ... sören ...“. sie hatte sehnsucht auf gesucht gereimt und ewich auf vergeblich und immer wieder: „ich ... ich ... ich. ein schmetterling, so flatterig, wie ein ängstlicher schmetterling auf deiner hand, so flüchtig, bloss eine sekunde auf deiner hand,...du ... sören ... ich ... du ... sören ...ich ... ich ... habe den morgen/ tau von den ziegeln/ geleckt mit den katzen/ über die dächer gestiegen/ bin ich und habe die gier/ buchstabieren gelernt/ die ich an dein bett trage/ laut für laut.“

um himmels willen, wie sollte sie das nennen? „ode an ein bett“?
das wasser war abgelaufen. also: aufstehen. regal anbringen. dann die schublade aufmachen. das gespenst herauslassen. schauen was passiert.

Keine Kommentare: